Laudatio to PETER KOWALD

PETER KOWALD
Eine Laudatio von Bert Noglik

Peter Kowald Peter Kowald zu Ehren fallen einem Geschichten ein. Solche, die er auf dem Instrument erzählt wie auch andere, die sich da und dort ereigneten und die er uns mitgeteilt hat. Wie alle Musiker, wie alle Künstler, die über das hinausgehen, was da ist, führt Peter Kowald Traditionslinien weiter - indem er ihre Herausforderungen annimmt und ihre Konventionen in Frage stellt. Bei allem Bruch mit dem, was Traditionalisten für bindend oder verbindlich erachten, bezieht sich Kowald auf die Geschichte des Jazz, auf den unausgesprochenen Imperativ, sich unmittelbar und unverwechselbar zu entäußern, sich selbst zu spielen. Eine uralte und immer neue Geschichte, eine Story aus Body und Soul, die nur dann zu überzeugen vermag, wenn ihre Dynamik nicht der Schulweisheit des Angelernten, sondern den Wellenbewegungen des eigenen Lebens- und Werklaufes entspringt.

Das abenteuerliche Quellenverzeichnis von Peter Kowald bezieht sich einerseits auf die Geschichte des Jazz und andererseits auf die Erfahrungen der europäischen Moderne. Jazz als schöne Kunst, gar als Avantgarde betrachtet, entbehrt der Anbiederung, der Attitüde des Entertainers, der Komponenten von Gefälligkeit. Das ist die erste Zerreißprobe: kann man aus beiden Traditionen - der des Jazz, des Geschichtenerzählens, und der eines radikalen, andern-orts gewachsenen Kunstverständnisses und Wirklichkeitserlebens - etwas Eigenes machen, ohne dabei im Epigonentum zu erstarren oder sich in der permanenten Revolution aufzuzehren? Kowalds Spiel, seine Improvisationen, seine Kompositionen, seine Art des Composings, seine immer vom Mut zum Risiko getragenen Geschichten auf dem Instrument erzählen von diesem Thema.

Aufgewachsen in Wuppertal, Armbanduhr zur Konfirmation, Altgriechisch auf dem Gymnasium, KOntrabaß mit 16, im Alter von Peter Kowald 17, 18 Jahren gemeinsames Spiel mit dem Wuppertaler Obervater Peter Brötzmann, dann bald auch im Trio mit Irène Schweizer und Pierre Favre, auch eigene Gruppen, von Anfang an bei Globe Unity, auch in kleineren Formationen mit Alexander von Schlippenbach, intensive Kontakte zu Improvisatoren aus England, aus Belgien, aus Holland: soweit die Fakten, die man kennt. Der Aufbruch zu einer neuen, freien Jazzmusik, die späten sechziger Jahre - das Glück, so hat es Peter einmal zusammengefaßt, in einer spannenden Zeit jung und auf dem Weg zu sein. Von dort nun ein Sprung in eine andere Ebene. Später, anderen Orts, weit weg, im asiatischen Tuwa, hat Peter Kowald etwas erlebt, das er uns als Geschichte übermittelte. Von einem Sänger der traditionellen Obertonmusik erfuhr er: "Die Musik muß durch ein kleines Loch, einen ganz schmalen Kanal hindurch. Das ist schwer, aber sie muß da hindurch. Und wenn sie durch ist, dann kann sie sich öffnen und es sind dann all die Tiere und der Wind, die ganze Natur ist zu hören. Aber erst muß sie durch dieses kleine Loch hindurch." Wie alle guten Geschichten ist auch diese vieldeutig, ähnlich den Stories, die uns Peter Kowald auf dem Kontrabaß erzählt: mehrdimensional, nicht auf eine lineare und oder vordergründig ablesbare Fabel zu reduzieren. Es geht um Grenzerfahrungen, um die Reduktion auf das Wesentliche, wie auch um die Öffnung eines einengenden Koordinatensystems: "Grenzüberschreitungen" übrigens war, lange bevor die Rede davon beinahe inflationär in Umlauf kam, ein Titel, den Peter Kowald einigen der von ihm begründeten Wuppertaler Workshops als Motto mit auf den Weg gab. Free Jazz, alles rauslassen mit aller Energie: das stand in der Tradition von Musikern wie Albert Ayler und - um einen kühnen Vergleich zu wagen, auch in der Tradtion eines deutschen Expressionismus. Das war die erste Grenzüberschreitung. Die zweite bestand in der Zurücknahme, in der Erfahrung, in bestimmten Situationen mit weniger mehr sagen zu können. Ende der siebziger Jahre gründet Peter Kowald ein Trio mit dem Trompeter Leo Smith und dem Schlagzeuger Günter Sommer, das nicht nur die Instrumente, sondern auch die unterschiedlichen Spielerfahrungen und Traditionen gleichberechtigt zueinander in Beziehung setzt: Weltmusik, nicht im Sinne eines Herablassens auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern als ein von gegenseitigem Respekt getragener Lernprozeß. Peter Kowald spielt nun nicht mehr vordergründig mit den Materialien, sondern mit den Essenzen anderer Musikkulturen. Soweit man so etwas in Worte fassen kann, beeindruckt ihn beispielsweise, daß Leo Smith nirgendwo hinwollte, sondern immer schon da war. Von da an beginnt Peter, sein Spiel in einen Weltzusammenhang einzubringen und sich von diesem inspirieren und in Frage stellen zu lassen.

Das kleine Loch, durch das die Musik hindurchmuß - das kann exzessive Selbstverausgabung, Peter Kowald das kann die Negation aller konventionellen Vereinbarungen, das kann aber auch die Zurücknahme auf Null, das schwarze Quadrat von Malewitsch, das Schweigen von Marcel Duchamp oder die Stille von John Cage bedeuten. Kowald ist da hindurchgegangen, in der Welt angekommen, um mit den schwarzen Amerikanern die Blueserfahrung, mit den Japanern ein auf Meditation beruhendes Zeitgefühl, mit Sängerinnen wie Sainkho Namtchylak oder mit Butoh-Tänzern wie Min Tanaka oder Kazu Ohno eine kultische Dimension des Spiels und des Seins erfahren zu können. Das Fremde als potentiell Eigenes im Prozess des Fließens. Musikalische Impressionen als "work in progress". Neuentdeckte Wahlverwandtschaften in einer Welt, die einem globalen Dorf gleicht und doch keineswegs selbstverständlich von sich selbst heraus den Geist einer Gemeinschaft hervorbringt. Peter Kowald findet Verbündete in den Randzonen, in den Grenzbereichen, im Niemandsland zwischen den festgefügten Stilbereichen. Im Trio mit dem Saxophonisten Danny Davis und dem Violinisten Takehisa Kosugi entsteht 1986 in Tokyo eine improvisierte "Global Village Suite". Von 1984 bis 1990 hält Peter Kowald Duo-Begegnungen mit Musikern und Musikerinnen aus Europa, aus Amerika und Japan fest, um sie dann in Gestalt von drei LPs und einer CD zu dokumentieren. Und obwohl sich, wie Peter Kowald sehr wohl weiß, nur die Tonspuren, nicht die lebendigen Prozesse festhalten lassen, entstehen wunderbare Zeugnisse einer Selbstfindung und Öffnung in wechselnden Dialogen.

Peter Kowald Nach den weitläufigen Umtrieben folgt 1994/5 ein nur bei oberflächlicher Betrachtung harter Schnitt. Peter Kowald lebt und arbeitet in Wuppertal und war dort, "am Ort", 365 Tage lang. Er aktiviert seine Umgebung, verleiht seinem Wohnort eine magnetische Wirkung, so wie er es schon Jahre zuvor getan hatte, mit den Wuppertaler Workshops, mit "360°", dem von ihm mitbegründeten "Spielraum für Ideen". In der Intensität, mit der sich Peter Kowald auf einen, auf seinen Topos konzentriert, gelingt es ihm, diesen zu einem Weltpunkt zu machen. Ein kleines Loch, durch das alles hindurchgeht.

Gleichzeitig vertikal und horizontal wolle er auf dem Kontrabaß spielen, hat Peter Kowald einmal gesagt. Jazzmusiker, Improvisatoren können sich darunter etwas vorstellen. Gleichzeitig komplex und einfach wolle er spielen; das berührt nun wieder eine philosophische Ebene, die bei Kowald immer sinnliche Formen erscheinen läßt. Diese Unmittelbarkeit ermöglicht es ihm, sich zu anderen in Bezug zu setzen - nicht nur zu Musikern, sondern auch zu Tänzerinnen und Tänzern, zu Bildender Kunst, Sprache, Performance oder Film.

Peter Kowald, als Klang- und Bildkünstler, gleichermaßen rastlos und ruhig, in sich ruhend, sich durch andere in Frage stellend und zu sich selbst findend, notiert zu einem im vergangenen Jahr erschienenen Solo-Album - veröffentlicht von jenem Label, dem er seit Anfang der siebziger Jahre die Treue hält, von der FMP, der Free Music Production: "Was da ist, das ist ja sehr viel, eigentlich fast alles".

Das sagt einer, der am Anfang über alles hinausging, was er vorfand, und der nun mit dem von ihm Erarbeiteten, von ihm erspielten, ihm Zugefallenen, vom Ort aus in alle Welt gehen und wieder zurückkehren kann. "So viel", sagt Kowald, "steht zur Verfügung (dafür bin ich dankbar) und ich versuche, zu begreifen und zu fassen, zu nutzen und zu lassen: nehme, was da ist." Das klingt, bei aller Individualität, die auch da ist, wie ein Oberton, erzeugt gemeinsam mit jenem Musiker, nach dem der Preis benannt ist - Albert Mangelsdorff, der sich "Creole Love Call" ebenso inspirieren ließ wie von heimischen Singvögeln und von Walfischen ferner Weltmeere, von der Kraft des Kollektivs wie vom Besinnen auf dieses kleine Nadelöhr, durch das alle Klänge hindurchmüssen. Peter Kowald ist da hindurchgegangen. Er macht uns erlebbar, was da ist: weit mehr als genug. Und dafür danke.

Rede anläßlich der Verleihung des Albert Mangelsdorff Preises (Deutscher Jazzpreis) auf der PopKomm in Köln im August 1996 an Peter Kowald.
von Bert Noglik

Das Photo stammt aus dem Booklet der CD Was das ist, FMP Berlin 1997, Photos von Nicole Aders und Dagmar Gebers