Ein Jazzfestival in China: Das klingt exotisch und die Umstände und Rahmenbedingungen waren es auch. Es setzte bei allen Beteiligten zähes Wollen und Engagement, gute Nerven und Durchhaltevermögen voraus.
Sicherlich ist bei einem solchen Festival das Drumherum, organisatorisch wie politisch, ebenso interessant wie die rein musikalische Berichterstattung.
1993 gab es ein erstes, kleines Jazzfestival in Beijing. Udo Hoffmann, sein Name wird in diesem Bericht noch öfter fallen, hatte zusammen mit dem deutschen Goethe-Institut, einem chinesischen Partner und Kulturabteilungen diverser Botschaften in Beijing das Programm zusammengestellt. Ein Programm, das nur einen kleinen Ausblick, auf das, was Jazz ist, geben konnte. 4 ausländische und eine chinesische Band, immer volle Hallen. Der Erfolg war groß, und das Festival 1994 wurde geplant. 'Waiting for Jazz...': ein wunderbares Motto.
Je näher der Festivaltermin rückte, desto knapper wurden die Mittel. Das Genehmigungsverfahren zog sich hin und die Auflagen für das Festival wurden deutlicher. Schließlich kam die Genehmigung, aber: es durfte nicht öffentlich geworben werden. Weitere Auflagen: keine Mikrophon-Ansagen während der Konzertabende und die Sängerin des deutsch-chinesischen Ensembles sollte nicht auftreten, sie könnte ja etwas Subversives singen. Aber es war genehmigt. Daraufhin zog sich einer Hauptsponsoren zurück und es gab kein Geld mehr für Gagen, Hotel und Verpflegung der Künstler.
Immer wieder schien das Festival gefährdet. So stellte sich zum Beispiel in der letzten Woche vor dem Festival heraus, daß keiner der beiden Pekinger Mixer zur Verfügung stand, niemand war aufzutreiben, der für die Technik sorgte. Also brachte E.M.T. noch Olaf Gödecke als Techniker mit.
Einige der auftretenden Ensembles bekamen von den sie betreuenden Kulturinstituten oder Botschaftsabteilungen oder über Sponsoren Flug, Gage, Unterkunft und Verpflegung, andere hingegen bekamen zwar über Sponsoren den Flug, mußten aber alle anderen Kosten selber tragen. So waren einige im Luxus-Hotel untergebracht, andere im Traveller-Hotel mit Kakerlaken und anderen Überraschungen. Die Flüge wurden zwar gesponsort von der großen deutschen Luftfahrt-Compagnie, aber es gab erst mal keine freien Plätze in den Maschinen. Das Ensemble E.M.T. oder das deutsch- chinesisch-mongolische Ensemble Gaoshan Liushi wurden von deutscher Seite wohlwollend, aber nur ideell unterstützt. Aber gerade diese Gruppen engagierten sich sehr stark auf diesem Festival und kamen nicht nur mal zum Spielen vorbei.
Das MIDI-Institut, die einzige chinesische private Musikschule
stellte Technik zur Verfügung, ein deutsch-chinesisches Joint-
Venture einen Bus samt Fahrer, andere Sponsoren übernahmen die
Hotelunterbringung. Der stärkste Sponsor, ein in Hongkong
ansässiges Magazin, gab zusätzlich zum Festival einen großen
Empfang: allerdings war keiner der Musiker und fast niemand der
Organisatoren zu diesem glanzvollen Ereignis geladen und die
Kosten hierfür überstiegen den Förderbeitrag bei weitem.
Udo Hoffmann wollte mit dem Festival die große Bandbreite des
Jazz zeigen und dem chinesischen Publikum vorstellen.
Die Auswahl der Musiker war allerdings mehr von Zufällen und
Sponsorlaunen als von einer Programm-Idee abhängig, trotzdem
konnte an den 5 Konzerttagen ein großes Spektrum aufgefächert
werden.
Selbstverständlich gebührt der erste Auftritt einem chinesischen
Ensemble. WIDE ANGLE spielt von Jazzrock bis zu einer Bach-
Bearbeitung und Coltrane, der auf dem Guzheng instrumentiert
wurde, alles. Sie können spielen und sie spielen jeden Abend im
Beijing Hilton. Aber daß sie Chinesen sind, hört man nicht. Das
SCANDINAVIAN JAZZ QUARTETT kann auch spielen, aber bei ihnen hört
man, wo sie herkommen: sie vertreten den skandinavischen Jazz:
leidenschaftslos und gemütlich. Für den Auftritt des E.M.T. (European Music Trio) ist es nach
chinesischen Maßstäben dann schon zu spät. Nach einer ehernen
Regel geht das chinesische Publikum um 22.00 nach Hause, ob das
Programm zu Ende ist oder nicht. Aber Vladimir Tarasov, Heinz-
Erich Gödecke und Stephan Kersting finden Gnade: sie spielen so
Unerhörtes, daß das Publikum sitzen bleibt. Neben dem verdienten
Applaus ist auch viel Berührung und Erschütterung bei den
Zuhörern festzustellen.
Das Duo Jon Rose / Otomo Yomoshide ist sicherlich der
provokanteste Beitrag. Mit elektrischer Gitarre, Sampler,
Turntables und verstärkter Violine stürzen sie sich auf
Lärmkaskaden und zarte chinesische Volksweisen. Die Zuhörer sind
fasziniert, erschreckt und belustigt. Das Duo bildet zusammen mit
E.M.T. das innovative Element auf diesem Festival.
Konventioneller, aber technisch und musikalisch trotzdem
erstklassig kamen das Lluis-Vidal-Trio ebenso wie das Stephane-
Kochoyan-Trio daher. Sie spielten einen Jazz, bei dem Geschichten
im Kopf losmarschieren, voll Dynamik und mit vielen Ideen.
Den österreichischen Neighbours mit ihrem intelligenten und
schönen Spiel hört man an, daß sie sich sehr gut kennen und schon
um viele Ecken gezogen sind. Vertrautes so spannend vorzustellen,
das ist eine hohe Kunst. Vom chinesischen Publikum wird ihr
Können sehr honoriert.
In Hinblick auf dieses Festival hatte Robert Zollitsch, ehedem
Student der klassischen chinesischen Musik in Schanghai, sein
Ensemble aus deutschen und chinesischen Musikern zusammengestellt
und lange mit ihnen auf dieses Konzert hingearbeitet. Eine
Synthese verschiedener musikalischer Welten wollen sie
vorstellen; dieser Ansatz gerät aber zu soft. Zudem stellt sich
an diesem Abend kein Gleichgewicht zwischen den Musikern
ein, vielleicht haben sie sich zu sehr unter Druck gesetzt. Der
Oregon-mäßige Ansatz erlaubt gerade den chinesischen Musikern
nicht, ihre Energie, ihre Dynamik auszuspielen.
Nach dem epigonalen Jazz-Rock von Liu Yuan und Kong Hongwei
beendet das Willem-Breuker-(Zirkus)-Kollektiv mit bekannter
Spielfreude und bekannten Witzen das Festival. Sie haben Glück:
ihre arabische Einlage kommt beim chinesischen Publikum gut an,
es amüsiert sich; die Funktionäre jedoch sorgen sich um die
chinesisch-arabische Freundschaft.
Das Publikum setzt sich zu 80% aus Chinesen und zu 20% aus in
Peking lebenden Ausländern zusammen. Für alle ist das Festival
auch ein gesellschaftlicher Treffpunkt.
Die Reaktionen des chinesischen Publikums auf die Musik sind
interessant: sie klatschen enthusiastisch bei dem, was sie
nachvollziehen können (Breuker vor allem), hören aufmerksam dem
zu, was sie nicht kennen (E.M.T. und Jon Rose / Otomo Yomoshide),
verlassen den Saal oder sind unaufmerksam, wenn ihnen Bekanntes
mit Unbekanntem vermischt geboten wird (Gaoshan Liushui).
Nach den Konzerten bot sich ein im Botschafts-Viertel gelegener
Club für Sessions an. Hier fand sich auch Gelegenheit zum
Zusammenspielen und Experimentieren mit chinesischen Musikern.
Was dann zu so gelungenen wie abstrusen Kombinationen wie:
chinesisches Hackbrett - Turntables und Sampler - Erhu führen
konnte. Im Poacher's Club traf ein Ensemble, das ansonsten
klassische chinesische Musik zu vielerlei Anläßen spielt, auf Jon
Rose und Otomo Yomoshide; hier entstand eine vielversprechende
Zusammenarbeit zwischen Vladimir Tarasov und einem chinesischen
Perkussions-Ensemble. Gerade bei diesen Musikern fiel mir auf,
daß diejenigen, die eigentlich klassisch ausgebildet sind und
klassisch spielen, nach einiger, mehr oder weniger großen,
Überwindung, frei improvisieren können, während die chinesischen
Jazzer im konventionellen hängen bleiben und die Gelegenheit zum
Austausch mit den angereisten Musikern nicht nutzen (oder nutzen
dürfen).
Als dann die Festivalwoche beendet ist und das Club-Publikum
wieder die gewohnte Samstags-Disko verlangt, verlagert sich der
letzte Session-Abend in eine Karaoke-Disco, die gerade umgebaut
wird. Tarasov spielt hier zum dritten Mal mit dem Pekinger
Ensemble und es zeigt sich eine deutliche Entwicklung und
Steigerung in ihrer Musik. Alle sind hinterher glücklich.
Spätnachts noch gibt Jon Rose den Arbeitern auf einer
Großbaustelle ein Ständchen und das allerletzte Konzert gibt
Heinz-Erich Gödecke nachts am See des Sommerpalastes.
Das Programm:
Daß dann keine Zugabe mehr gegeben werden konnte, weil unter der
Bühne ein Kabel brannte, lag sicherlich an der Technik und nicht
an ihrer Musik.
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Sie erreichen Udo Hoffmann über die Werbe-Agentur YiRen unter folgender E-Mail-Adresse: logistix@logistix.com.cn
Diesen Artikel habe ich in der Februar-Ausgabe 1995 der Jazzthetik, Zeitschrift für Jazz und Anderes veröffentlicht.
Das wilde Bild oben auf der Seite prangte auf der Eintrittskarte eines Pekinger Clubs, die kleinen roten Frösche sind Scherenschnitte unseres Freundes Lü Chen Zhong, einem der interessantesten modernen Künstler Chinas.
Ihn werde ich hier auch noch ausführlicher vorstellen.
© Cornelie Müller-Gödecke |
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